Einige Worte vorab: Die geneigte Leserschaft konnte in unserm Blog schon an ein paar Stellen etwas lesen aus dem Feld der Musikneurologie. Was dort passiert ist wahnsinnig faszinierend und wird hoffentlich bahnbrechend sein – aber es ist auch durchaus abgefahren.

Weil bei Instrumentor niemand von uns Neurowissenschaftler, also Gehirnspezialist, ist, muss ich mich selber auch an die Materie herantasten. Aber das ist ja nicht unmöglich.

Und hier lade ich dich ein, mit mir im Gehirn Kolumbus zu spielen. Wir werden gemeinsam lernen, was mit dem Gehirn passiert, wenn wir ein Instrumentor spielen und was das für unser übriges Leben für Konsequenzen hat.

Als Exkursionsleiter werde ich mich bemühen, in kleinen Schritten voranzugehen und mich so verständlich wie möglich auszudrücken. Weil mir das aber mit Sicherheit nicht immer gelingen wird, bin ich wahnsinnig froh um Interventionen. Und wenn dir selber eine Frage auf der Zunge brennt, versuche ich gerne, etwas darüber herauszufinden.


Also dann, genug der Reden. Heute beschäftigt mich die Frage: Was ist aus Sicht eines Musikers überhaupt so spannend am Gehirn? Die Antwort hat mit dem verblüffenden Umstand zu tun, dass Musik trotz der strikten Arbeitsteilung im Gehirn alle Areale zum Laufen bringt.

Verschiedene Areale unseres Gehirn sind spezialisiert auf unterschiedliche Funktionen.

Figura zeigt ein menschliches Gehrin und farblich hervorgehoben die sogenannten Hirnregionen. Das sind die Windungen, die für bestimmte Aufgaben aktiver sind als der Rest der grauen Masse:

Der Stirnlappen („frontal lobe“, roas eingefärbt) ist gewissermassen der Türsteher für alles, was sonst so im Gehirn an Funken sprüht. Nur kontrolliert er nicht, was ins Gehirn rein darf, sondern, welche Signale das Gehirn verlassen. Vorne im Cockpit des Gehirns sitzt sozusagen unsere Zivilisiertheit – oder anders betrachtet die von Mani Matter besungenen Hemmungen. Die spürst du zum Beispiel dann, wenn du deinem Liebsten etwas vorsingst und dabei deine Stimme vor Nervosität zittert.

Unten im Schläfenlappen („temporal lobe“, gelb eingefärbt) werden unter anderem die Signale aus dem Hörapparat aufbereitet. Spielt man einen schiefen Intervall oder ist das Instrument verstimmt, dann wird das vom Schläfenlappen gewissenhaft detektiert. Oder auch schon, wenn man denkt, das sei jetzt schief, dabei ist es einfach nur ein mikrotonaler Intervall. Praktischerweise befindet sich diese Region auch noch auf Ohrenhöhe. Hier hocken aber zudem das Kurz- und das Langzeitgedächtnis sowie der Zauberappart, der es uns überhaupt möglich macht, so etwas komplexes wie Sprache zu verstehen.

Im Hinterkopf sitzt blau eingefärbt das Sehzentrum („occiptal lobe“). Wenn wir verzweifelt versuchen, ein Notenblatt zu entziffern, flitzen die Signale einmal längs durchs Gehirn ins Hinterzimmer und werden hier vor allem auf Muster gescannt. Denn unser Gehirn mag am liebsten Muster (wer schon mal beim Eindunkeln durch den Wald spaziert ist und immer wieder Gestalten im Dickicht zu sehen geglaubt hat, hat Erfahrungen aus erster Hand zu diesem Punkt. Aber auch in Melodien suchen wir nach Mustern.).

Wandert man den Hinterkopf hoch, gelangt man zum Scheitellappen („parietal lobe“, grün eingefärbt), wo unsere vielfältigen Sinneswahrnehmungen zu einem einheitlichen Bild zusammengefügt werden. Der Scheitellappen hat darum auch einen direkten Draht zum Hörzentrum, zum Sehzentrum und zum Gefühlszentrum (also, nicht Gefühle im Sinne von Emotionen, sondern Gefühle wie Schmerz oder Kitzeln). Ausserdem ist der Scheitellappen der Go-To-Guy für allerlei Regelwerke: Hier rechnen wir aus, wie viel Trinkgeld 15% sind, und hier entscheiden wir, ob es „Trinkgeld“ oder „trink Geld“ heisst.

Wenn man vom vielen Spazieren müde Füsse bekommt, sich in die Backe beisst oder man spürt, wie einem beim Vorstellungsgespräch ein Schweisstropfen die Wirbelsäule hinunterläuft, dann arbeiten die Zellen des sensorischen Kortex (orange eingefärbt). Hier spürt man, wie der Drumstick vom Fell zurückfedert, wie viel Druck die Klaviertaste braucht, wie sich die dünne hohe E-Seite sich in die Fingerspitze gräbt, wie die Nebenhöhlen beim Singen vibrieren.

Schliesslich liegt da noch der motorische Kortex (rot eingefärbt). Er steuert unsere Bewegungen und muss zum Beispiel dann arbeiten, wenn man bei einem Konzert im Rhythmus mit der Musik klatscht. Aber diese Region übernimmt auch das fine tuning für die Platzierung der Finger auf dem Griffbrett einer Violine oder die Position der Zunge beim Saxophon Spielen.

Und damit wäre der Rundgang um das Gehirn abgeschlossen. Dir ist sicher nicht entgangen, wie das Musikmachen überall irgendwo vorkommt. Und genau das ist das Abgefahrene an der Sache. Denn wie man mittlerweile weiss, ist die Hirnregion, die für das Musizieren zuständig ist, diese:

Genau. Das ganze Gehirn.

Wenn du ein Musikinstrument spielst, zieht eine gigantische elektrische Parade durch deinen Schädel und befeuert jeden hintersten Winkel deiner grauen Masse.

Die fantastische Einsicht ist, dass ein Musikinstrument zu spielen IMMER mehr ist als nur das: Beim Üben, Vorspielen oder auch einfach beim simpelsten Gedudel trainierst du dein ganzes Gehirn. Musizieren ist der Vita Parcours in deinem Kopf. Während du Skalen, Fingerläufe, Rhythmusüberlagerungen oder Atemtechniken übst, stärkst du zahllose weitere und für den Leben äusserst wichtige Fähigkeiten.

Denn die Fitness gibt dir nicht nur mehr Freiheiten und Präzision in deinem musikalischen Ausdruck, sondern macht die Hirnregionen auch fitter für einen ganzes Bouquet anderer Aufgaben: Grammatik, Handschrift, Gehör, Aufmerksamkeit, Erinnerungsfähigkeit, soziale Intelligenz, Problemlösungsstrategien.

Die Liste geht sogar noch weiter.

So potent ist das Musizieren für die Gesundheit des Gehirns, dass es ganze Therapiebereiche umkrempelt, aber auch in für den Lehrplan in der Volksschule zu einem Schlüsselelement werden könnte.

Was jede Musikerin und jeder Musiker schon lang wusste, kann die wissenschaftliche Forschung jetzt endlich bestätigen: Musik ist eben doch nicht nur ein Spiel und ein Zeitvertrieb.


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