Nach dem ersten Jahr Blockflötenunterricht wollte ich Saxophon spielen – aus welchem Grund auch immer. Es würde mich nicht verwundern, wenn ich in meiner Denkfaulheit einfach den grössten Vertreter aus der Kategorie „Blasinstrumente“, der mir spontan in den Sinn kam, gewählt hätte, und wahrscheinlich merkte mein Vater das und stellte mich auf die Probe: Wir wohnten damals in einem uralten Bauernhaus mit einer zugigen und ungeheizten Scheune nebenan, und besagte Scheune wäre das designierte Saxophon-Übungshaus geworden. Um den Lärm bestmöglich aus dem Haushalt auszugliedern, insbesondere das Quieken und Tröten eines 8-jährigen Anfängers mit wahnsinnig wenig Fleisch an den Knochen. Den zweiten Teil liess man natürlich unerwähnt, aber das musste ja auch nicht gesagt werden, um trotzdem Allen klar zu sein. Jedenfalls, das war der Deal. Saxophon in der Scheune oder ein anderes Instrument, dafür üben im Warmen.
Einmal noch ging ich wehmütig an einem Schaufenster mit Saxophonen drin vorüber, aber ansonsten entschied ich mich problemlos für den Komfort des Wohnhauses. Mehr noch: Nach einem weiteren Jahr Blockflötenstunden sattelte ich spontan um auf die Gitarre und dankte postwendend dem Himmel dafür, dem Leben als Saxophonist in letzter Sekunde entronnen zu sein. Ich fand es mittlerweile saudoof. Natürlich ohne besser zu wissen, warum eigentlich, wie damals, als ich nichts anderes lernen wollte als Saxophon. Aber praktischerweise hatte ich dieses Mal die ganze Welt hinter mir. Es gab also überhaupt keinen Grund, diesen grotesken Ekel jemals irgendwie zu hintersinnen.
Heute kenne ich nach wie vor weitaus mehr Gitarristen, Pianisten, Schlagzeuger und sogar Bassisten als Saxophonisten. Tatsächlich kenne ich das Fünffache an Saxophonisten, seit fünf Lehrer bei Instrumentor Saxophonunterricht anbieten. Und obwohl ich in meinem jugendlichen Radikalismus das Saxophon so konsequent wie möglich aus meinem Leben raushielt, hatte ich dennoch schon vor der Pubertät einige magische Momente damit:
1. Mit der ersten Band spielten wir an der Konfirmationsfeier meines Jahrgangs.
Einer meiner besten Freunde war der Saxophonist bei uns. Sachkundige Chronisten und Reste geschmolzener Mädchenherzen zwischen den Kacheln des Kirchenbodens werden die Nachwelt daran erinnern, dass es nur seinen überirdischen Solier-Skills zu verdanken ist, dass wir mit einem einzigen 4-Akkorde-Stück im Repertoire zwei Mal spielen durften.
2. Mit selbigem Freund begab ich mich in den Sommerferien mal eine Woche lang auf die Strassen zum Strassenmusik machen. Unter anderem führten wir diesen Blues auf:
Ich hatte zwar den Solo-Teil vom Eric Clapton himself drauf, aber das Saxophon mit Sicherheit nicht nur vor, sondern auch tief drin in der UBS hörbar war, vor der wir regelmässig gastierten. Und natürlich war es im Gegensatz zu meinem jedes Mal ein anderes Solo.
3. Einmal, im Pfadilager, da hatten wir zu fünft einen Narren gefressen an diesem Überhit:
und ich hatte jeweils die Ehre an mich gerissen, das Solo auf meinem Luft-Saxophon über den Lagerplatz zu posaunen. Das lag allerdings nur drin, weil der Saxophonist aus den Erlebnissen 1 und 2 nicht exzentrisch genug war, um diesen Part selber zu schmeissen. Für uns war alles nach dem Solo Outro und alles davor Intro.
4. Als Hardliner in der Dire-Straits-Fanfraktion liebte ich jahrelang jedes Stück von ihnen und für ein ganzes Weilchen besonders dieses da:
Saxophonist Stan Getz soll mal gesagt haben, dass das Saxophon von allen Instrumenten der menschlichen Stimme am nächsten komme – was diesen Song betrifft, hätte eine Strophe problemlos gegen noch ein Sax-Solo getauscht werden können.
Mit einem Fernseher zuhause hätte sich mein Horizont schon früher geweitet, denn ich hätte als Knirps schon beispielsweise diese kulturelle Referenz mitgenommen:
Und natürlich auch diese:
Aber ganz speziell diese:
Das alles ohne Saxophon: UN-DENK-BAR.
Wenigstens haben heute fast alle das Internet, darum kenne ich nicht nur die drei Sachen vorher, sondern auch das:
Wie es scheint, ist das Saxophon seit seiner Erfindung in den 1840ern wie kaum ein anderes Instrument in der Lage, die Lager zu spalten: Als zum Beispiel Adolphe Sax seine Erfindung unter die Leute bringen wollte, stemmte sich die gesamte Blasinstrumentenbranche mit gewaltiger Politik dagegen, dass das Saxophon in Orchestern eingesetzt wurde – obwohl Komponisten wie Berlioz oder Rossini begeistert davon waren und es ursprünglich genau dafür gebaut worden war. Für mich steht mittlerweile fest, dass ich das Instrument fast zeitlebens völlig verschätzt habe. Nicht nur, weil man damit offenbar Hühner ins Jenseits befördern kann (Vegis, obacht!), sondern mir dämmert auch, dass nur ein irrsinnig starkes Instrument soviel Opposition und unverhohlene Abschätzung wegstecken kann, ohne sang- und klanglos wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Seien wir ehrlich: Gitarren-, Klavier- oder Schlagzeugunterricht zu nehmen, ist jetzt nicht die atemberaubendste Mutprobe. Alle mögen Gitarre, Klavier oder Schlagzeug. Das Saxophon hingegen hat mit seinem metallenen Glanz diese heroische Aura, die seine Spielerinnen und Spieler in die vorderste Reihe zerrt. Dieses Instrument ist ein Wildfang! Das traut sich einfach nicht jeder zu. Ausserdem: Wäre ich nicht vorher schon ein Konvertit in dieser Angelegenheit gewesen, Gregor Frei an der Instrumentor-Jam-Show im Moods beim Punk Jammen zuzusehen, hätte mir noch vor dem ersten Mal Atem holen jeden Wind aus den Segeln genommen.

Saxophonunterricht zu nehmen, ist allein schon deswegen nicht jedermanns Sache, weil nicht alle die Power und Puste haben können, die einem das Saxophonistenleben abverlangt. Und wenn du herausfinden willst, ob du zu den Auserwählten gehörst, lasse dich unbedingt von unseren Lehrpersonen begleiten. So oder so wird diese Begegnung dich ein Leben lang begleiten.
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