Unsere Gesangslehrerin Nina Reiter lässt sich ausbilden auf einem Ansatz, der in der Schweiz beim Gesangsunterricht noch sehr progressiv ist. Für Instrumentor berichtet Nina immer wieder aus ihrem Trainings-Alltag, erklärt die Idee hinter und ihre Begeisterung für Estill-Voice-Training und gibt Einblick in die Herausforderungen und Erfolgserlebnisse ihrer doppelten Rolle als Gesangslehrerin und Gesangsschülerin.
„Wie kann ich meine eigene Stimme finden, den Sound der mich von anderen unterscheidet?“
Diese Frage ist wohl dem einen oder anderen Gesangslehrer* von so manch wissbegierigem Schüler* schon gestellt worden, bzw. ist der Klang der eigenen Stimme ein großes Thema für jeden Sänger*.
Als ich das erste Mal mit den sechs Stimmqualitäten (Speech, Falsetto, Twang, Sob, Belt und Opera, siehe den ersten Beitrag aus dieser Serie), die bei Estill Voice Training in Level II gelehrt werden, konfrontiert wurde, war ich kritisch, denn eigentlich entsprach keine meinem Klangideal (ich gebe zu, mein Klangideal war damals noch ziemlich beschränkt).
Erst mit der Zeit und durch den Besuch von zwei Fünf-Tages-Kursen verstand ich, dass diese sechs Stimmqualitäten nicht mehr und nicht weniger als erforschte Archetypen sind, was nicht bedeutet, dass man sich als Estill-Ausübender nur noch zwischen ihnen hin und herbewegen darf, weil alles andere schlecht oder falsch ist.
Diese sechs Stimmqualitäten setzen sich aus den dreizehn Isolationen der Einzelteile zusammen, die in Level I behandelt werden. Wie beim Kochen nach Rezept fügt man Zutaten zusammen und erhält eine Stimmqualität (im besten Fall gewürzt mit ein bisschen Freude, weil man etwas Neues entdeckt hat).
Was mir von Beginn weg gefallen hat, war die Vielseitigkeit; die Trennung zwischen klassischer und populärer Gesangstechnik fällt weg, da ja Einzelteile trainiert werden und jeder für sich und seine persönlichen Anforderungen diese Einzelteile wieder zusammensetzen kann. Was mir weniger gefallen hat, war, wie schwer mir anfänglich alles fiel.
Für meine erste Estill-Prüfung, den CFP-Test musste ich die Isolationen und auch die sechs Stimmqualitäten demonstrieren. Während der Vorbereitung war ich oft kurz davor alles hinzuschmeißen, noch öfter am Rande des Wahnsinns (jaja, sich fünf Stunden hintereinander nur mit dem Gaumensegel herumzuschlagen, war möglicherweise nicht die beste Übungstaktik) und sehr oft sehr weit entfernt von meiner Komfortzone.
Die war nämlich ziemlich eng. Nachdem ich mir über Jahre hinweg Gedanken darüber gemacht habe, wie ich klingen möchte und welcher Klang mich ausmacht, war es für mich eine immense Herausforderung mich Stimmqualitäten zu nähern, die dem widersprachen was ich jahrelang für mich als „schön“ oder „angenehm“ definiert hatte.
Mittlerweile bin ich sehr froh, nicht aufgegeben zu haben und habe nun eine wesentlich größere Farbpalette zur Verfügung. Ich versuche zu experimentieren, ohne im nächsten Augenblick über die Ästhetik zu urteilen, was sehr befreiend ist.
Und um noch mal zur anfänglichen Frage zurückzukommen: Die Stimmlippen sind von ihrem Aufbau her mehrschichtig, was sich auf die Art zu vibrieren auswirkt. Warum also sollte man nur eine eigene Stimme, nur einen individuellen Klang haben und nicht mehrere? Man passt ja auch seine Art zu Gehen der Situation an, läuft vielleicht mal dem Bus nach (also ich nicht, weil viel zu eitel) und ist trotzdem noch man selbst, oder?
Neugierig geworden? Im März 2015 findet der erste Estill Voice Training Kurs in Luzern statt, viele neue Klangfarben inklusive. Frag einfach die Nina!
Nina Reiter unterrichtet für Instrumentor Jazz- und Pop-Gesang in Luzern.
Sie wurde in Graz, Österreich, geboren und singt seit ihrer frühesten Kindheit. Mit dreizehn Jahren entdeckte sie ihre Liebe zum Jazz. Nach dem Bachelorstudium in Wien zog sie 2013 nach Luzern, um dort ihren Performance Master abzuschließen. Nach 2 Jahren Erfahrungen mit Estill-Voice-Training und dem bereits bestanden Estill Certificate of Proficiency macht sie seit 2013 die Ausbildung zum Certified Master Teacher bei Gerald Marko.
*alle Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen.
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